CLEMENS WOLF - GROUNDED
21.10 - 22.11.2016
Exhibiiton view "Grounded" by Clemens Wolf _ PARACHUTE SCULPTURE #3, 2016, 490 X 60 cm, Resin on reserve parachute
Exhibiiton view "Grounded" by Clemens Wolf _ PARACHUTE SCULPTURE #5, 2016, 490 X 60 cm, Resin on reserve parachute
PARACHUTE PAINTING, 2016, 100 x 100 cm, Resin on reserve parachute
PARACHUTE SCULPTURE #6 (RED), 2016, Resin on main parachute, 130x120 cm © Kunst an der Grenze
CLEMENS WOLF - GROUNDED
21.10 - 22.11.2016
Die Falte „All-over“
Der Begriff der Malerei scheint im Bewusstsein immer noch unweigerlich an die Flachheit der Leinwand und die Zweidimensionalität des Bildträgers gebunden zu sein. Dabei war es lange Zeit Ziel der Malerei, möglichst realitätsnahe Darstellungen zu erschaffen, Tiefe und damit auch Raum zu suggerieren. Werke zu schaffen, die unsere Wahrnehmung auf die Probe stellen. Doch längst ahmt die Malerei nicht mehr bloß nach, sie ist mehr als eine bloße Visualisierung von Geschichte, oder gar Abbild der Wirklichkeit. Und obwohl die Farbe längst nicht mehr nur als Material oder Werkzeug verstanden wird, sondern selbst zum Subjekt des Werkes werden kann: abseits des traditionellen Begriffs der Malerei scheinen die Grenzen zwischen Malerei und Objekt nur schwer definierbar. Wo fängt Malerei an? Wo hört sie auf? Und wann wird eine Malerei zur Skulptur?
„Vielleicht gibt es ein Bedürfnis der Malerei, das Gemälde zu verlassen und Skulptur zu werden […]“, schrieb Gilles Deleuze über das Charakteristikum des Barock. Der Barock wurde durch die Falte nicht als Struktur, sondern als Textur geprägt. Auch bei den neuesten Werken von Clemens Wolf ist das „All-over der Falten“ Kerncharakteristikum. Wurde die Falte im Barock oft in den Rahmen des Bildes gezwängt, umhüllen die Falten von Wolf die Leinwände so, dass die Rahmen und damit auch die Begrenzung des Bildträgers nicht mehr sichtbar sind. Das Flatternde, das Ausladende barocker Kleidung spiegelt sich auch hier in dem Maximum an Textur wieder: Der Körper wird nicht betont, vielmehr wird die Textur — die Falte — autonom. Die Texturen wirken weich, so als ob man die Falten jederzeit wieder glätten oder neu legen könnte. Ähnlich wie das Epoxy, mit dem Wolf seine Faltengebilde überzieht: Wie eine flüssige Masse ruht sie in den Tiefen der Falten. Einige Rückstände auf ihren Höhen rekonstruieren den Weg, den sich das Material gebahnt hat — es dokumentiert den Werkprozess. Eine Illusion, denn die Falten sind hart, unbeweglich, und durch das Epoxy alles andere als veränderbar. Die Werke von Wolf spielen mit der Wahrnehmung des Betrachters. Sie wirken als hätte man einen lebendigen Moment eingefroren. Oder die Vogelperspektive auf eine Gebirgskette eingefangen.
Lange Zeit wurden die Malereien und Skulpturen von Wolf durch Architekturruinen und Zäune geprägt. Sowohl der verlassenen Architektur als auch dem Zaun erscheint gemein, dass sie von Begrenzungen geprägt sind: sei es räumlich oder zeitlich. Sie wurden aussortiert oder sie sortieren aus. Das Aussortierte ist auch den „Parachutes“ von Wolf eingeschrieben. Es sind Fallschirme, die ihrer ursprünglichen Funktion beraubt wurden — und das nicht etwa, weil sie funktionsuntüchtig geworden sind. Jedes Land hat sehr unterschiedliche Richtlinien, wann ein Fallschirm aussortiert werden muss. Was sicher ist, ist von Ländergrenzen abhängig, was wiederum die Absurdität bei einem Sprung Richtung Erde mit bis zu 300km/h ins Extreme steigert. Doch unabhängig von individuellen Begrenzungen: Das Wichtigste für die Sicherheit bei einem Sprung ist, dass der Fallschirm richtig gelegt und verpackt wurde. Damit befreit Wolf die Falte in seinem Werk von ihrer rein dekorativen, umhüllenden Funktion. Die (richtige) Falte wird zu einer Absicherung. Erst sie sichert das Überlegen des Springers.
von Sabrina Möller [erschienen in PARNASS 03/2016]
PARACHUTE SCULPTURE #3 (WHITE), 2016, Resin on reserve parachute, 490x60 cm © Kunst an der Grenze